Gestirne - Mutter Sonne und Vater Mond in den prähistorischen Mysterien 2 |
Ich habe es erneut
unternommen, über die geschlechtliche Bewertung von Sonne und
Mond in urälteste Mythen hinabzusteigen, um daraus etwas Bedeutungsvolles
für unsere Gegenwart zu erlangen.
Worin aber sollte
diese Bedeutung bestehen, wo doch die Kulturen, die jene Mythen hervorbrachten,
längst vergangen sind ?
1. Die Mythen
alter Naturvölker wie der Balten, der Japaner, der Inder, der Ozeanier
und Germanen etc. sagen etwas aus über ein Problem, an dem wir in
unserer heutigen westlichen Zivilisation schon längere Zeit ergebnislos
herumdiskutieren in einem Übermaß an politischer Ideologie.
Ich spreche von der Wesensbedeutung des Männlichen und Weiblichen.
Während der Kirchenvater Tertullian die Frau als "Einfallspforte des
Teufels" (Deschner, S. 209) diffamiert, dreht die Feministin Heide Göttner-Abendroth
den Spieß um hundertachtzig Grad, indem sie dem Mann allein Erlösung
zuspricht, wenn er von der Frau vermenschlicht werde (s. ihr Buch "Die
Göttin und ihr Heros").
Diesen reaktiven
Pendelschlägen im Verhältnis zwischen einem mehrtausendjährigen
Matriarchat und einem ebenso hartnäckigen Patriarchat steht das entgegen,
was ich als ein prähistorisches Androgynat bezeichnen würde.
Zu erkennen,
daß das Männliche und das Weibliche jeweils eine besondere eigenständige
Bedeutung im Gesamtgefüge des kosmischen Lebens haben, wäre ein
Schritt in eine sinnvolle Zukunft, wie es z.B. Riane Eisler in Ihrem Buch
"Kelch und Schwert" propagiert. Uralte Mythen, die meines Erachtens schon
in der animistischen Jäger-Kultur vergangener Jahrzehntausende verwurzelt
sind, können uns diesen Weg weisen.
Wir wären
dann nämlich in der Lage, von den Stereotypien des Geschlechtlichen
wegzukommen, welche die Männlichkeit mit säbelrasselnder
Grobheit , das Weibliche hingegen mit hausmütterlicher Enge und Demut
in eins setzen.
2. Ein weiterer
Vorteil dieser Studien besteht darin, daß sie uns wegbringen von
der Idee, daß Gegensätzlichkeit die Konkurrenz zweier Prinzipien
mit dem Ziel der Unterwerfung eines Prinzips unter das andere oder seine
letztendliche Auslöschung sei. Diese Idee, wie sie in unserer Zeit
vom monotheistischen Despotismus gepflegt wird, hat uns bis jetzt nichts
gebracht, als einen Weg zur Vernichtung unseres Heimatplaneten zu eröffnen.
In der alten
Sichtweise der Dinge erblicke ich aber eine Möglichkeit, in den Gegensätzen
sich ergänzende Teile eines sinnvollen Ganzen zu erblicken.
3. Eine weitere
Sinnbedeutung dieser Arbeit liegt in der sinnlichen Bedeutung der astralen
Mythen schlechthin. Viele alte Mythen, die sich auf vergangene Gebräuche
beziehen, bleiben uns in ihrer wahren Bedeutung verschlossen, weil sie
auf bäuerlichen, kriegerischen und handwerklichen Gegebenheiten beruhen,
die wir in unserer hochtechnologischen Epoche nicht mehr nachvollziehen
können. Die Gegenwart der Gestirne von Sonne und Mond hingegen verkörpert
etwas Ewiges und Überzeitliches, zu dem wir unsere Augen erheben können,
ohne von der als fremd empfundenen modernen Welt völlig absorbiert
zu werden. Diese Gestirne fesseln unsere Aufmerksamkeit im ursprünglichen
animistischen Sinne als reale Gegenstände einer realen Welt, deren
Wahrnehmung keiner sekundären Darstellung im Sinne einer Verschlüsselung
oder Symbolifikation bedürfte.
In meinem Vortrag
im Jahre 1996 hatte ich, anknüpfend an ein Kptl. in meinem Buch von
1994 den Nachweis zu führen versucht, daß die neuheidnische
Vision einer weiblichen Mondgottheit und einer männlichen Sonnengottheit
im Widerspruch zu früheren, universell verbreiteten Astralmythen steht.
Nunmehr möchte
ich über den rein deskriptiven Rahmen hinausgehend diese alten Vorstellungen
mit Leben erfüllen, indem ich etwas über das innere Wesen dieser
Gestirnsgottheiten anhand der Quellen sage.
Sonne und Mond in ihrer Beziehung zueinander
Betrachten wir
also zunächst das Verhältnis von Sonne und Mond im Sinne ihres
Verwandschaftsgrades.
In der jüngeren
Edda (Gylfaginning) sind Mani (Mond) und Sol (Sonne) als Geschwister Kinder
eines Vaters namens Mundilföri. Auch im Reginsmal 23 wird die Sonnne
Schwester des Mondes genannt (v. Nemenyi, S.7), in der Völuspa ist
die Sonne "des Mondes Gesellin". In einem Eskimo-Mythos wie auch bei den
Cherokee sind die beiden ebenfalls Bruder und Schwester (s. Hetmann, S.
149 u. Kaiser, S. 63). So auch bei den Sorben (Nedo, S. 106).
In den japanischen
Mythen vom Weltanfang gehen die Sonnengöttin Amaterasu undd der Mondgott
Tsuki-Yomi aus dem linken und rechten Auge des Urmenschen Izanagi hervor
(Bellinger, S. 323).
In welcher Beziehung
zueinander werden nun diese Geschwister geschildert ? In dem Cherokee-
und in dem Eskimo-Mythos sind Sonne und Mond Liebhaber, die sich aber zunächst
nicht ihrer wahren Identität bewußt sind. Deren Aufdeckung ist
zunächst mit Entsetzen und Fluchtbedürfnis verbunden. Aber es
ist klar, daß die uralte Idee einer inzestuösen Geschwisterehe
die Erinnerung an etwas einstmals Sinnvolles bewahrt, was in matriarchalischen
Zeiten üblich war. Die neuere Überlieferung offenbart einen Zwiespalt
zwischen dem, was einmal wichtig und heilig war und später nicht mehr
sein durfte: in den genannten beiden Mythen ist der männliche Mond
ein Verborgener, Unbekannter, der aber durch das Bestreichen mit Ruß
identifiziert werden kann. Einen solchen Anhaltspunkt für die gezielteVerfinsterung
des Mondes bietet auch das estnische Märchen "Die Färber des
Mondes", in welchem der Teufel einen Helfer zum Mond emporsteigen läßt,
der diesen mit Teer verfärbt (Löwis of Menar, S.241 ff.). Die
bewußte Verdunklung bzw. Verbergung des Mondlichtes wird in der estnischen
Volksüberlieferung als Affront des Teufels gegen einen als "Altvater"
bezeichneten Urgott dargestellt.
Die Verborgenheit
des Männlichen kommt auch in dem sorbischen Volksmärchen von
Pan Hibschik zum Ausdruck, der tagsüber in einer Schweinehaut umhergeht,
und seine Schönheit nur des Nachts zeigen kann (Nedo, S. 102). Nachdem
seine Frau diese Schweinehaut verbrannt hat, flüchtet er. Sie aber
gewinnnt ihn wieder zurück, indem sie mithilfe eines Kleides von "Mütterchen
Sonne" schön wie die Sonne selbst in Erscheinung treten kann. Die
Beziehung von Sonne und Mond als Gattin und Gatte wird auch in der litauischen
Überlieferung deutlich, wo die Sonnengöttin Saule als Sonenjungfrau
den Mondgott Meness auf dem Himmelsberge in ihrem golden funkelnden Brautgewand
erwartet (Haussig, S.173). Auch in der hinduistischen Überlieferung
wird in einem Hochzeitszeremoniell die Vereinigung der Sonnengöttin
Surya mit dem Mondgott Soma geschildert (Mylius, S. 60). Der Unterschied
zwischen der lettischen und altindischen Überlieferung im Verhältnis
zu den Cherokee- und Eskimo-Mythen besteht aber darin, daß Sonne
und Mond nicht mehr Geschwister genannt werden. Zumindest wissen
wir aus der eddischen Überlieferung über das Göttergeschlecht
der Wanen und die Geschichte von Sol und Mani, daß Geschwisterlichkeit
von Sonne und Mond sowie die Geschwisterhehe bei den Germanen als indoeuropäischer
Kultur bekannt waren (Denken wir an die Beziehung von Freyr und Freya !).
Am prägnantesten
wird die Beziehung zwischen Sonne und Mond von Plutarch ausgedrückt,
der in seinem Mondgesicht schreibt: "Auch das ständige Kreisen des
Mondes selbst geschehe aus Liebesdrang zur Sonne; Selene vereine sich mit
Helios in dem Verlangen, seine Zeugungskraft zu empfangen" (S. 71). Am
mysteriösesten wird die Verbindung, Verschmelzung und Synthese beider
Gottheiten in dem spätmittelalterlichen Bildgedicht von Sol und Luna
dargestellt, das eine Hauptquelle jungianischer Spekulationen zu den Gedankengänngen
der Alchemie bildet.
All dies sind
aber schließlich Hinweise auf eine uralte Vorstellung von einer Einheit
und möglichen Einswerdung der Unterschiede, welche dem Gedanken einer
Vorherrschaft des jeweils Weiblichen oder Männlichen entgegenstehen.
Worin aber können
wir nun die entscheidenden Charakteristika dieser beiden astralen Gottheiten
erkennen ?
Vom Wesen der Sonnengöttin
Was das Wesen
der Sonnengöttin ausmacht, liegen sie im Grunde in dem Prinzip
der zentral ausstrahlenden Wärme und des wärmespendenden Feuers
einerseits. "Zentral ausstrahlend" bedeutet, daß das Solare eine
Funktion als Mittelpunkt im Sinne eines Lebenskerns des kosmischen Lebens
hat. Das Lunare hingegen gilt als peripher, zyklisch, d.h. zwischen Verborgenheit
und Offenbarwerden sich bewegend und zugleich gekennzeichnet vom Prinzip
der Feuchtigkeit.
Wir würden
einen groben Fehler machen, wenn wir dieses Gegensatzpaar nur in den Kategorien
von "mütterlicher Wärme" und "zeugender Nässe" fassen würden.
Dies ist eine seiner Ausdrucksmöglichkeiten, aber eben nur eine, die
sich auf den regenerativen Bereich bezieht.
In der Tat ist
diese Zuordnung allein eine für die okkult-hermetischen Kategorien
der Neuzeit erstaunliche Neuerung. Die klassische Verbindung des Männlichen
mit dem Feuer und des Weiblichen mit dem Wasser unterliegt hier einer Umgestaltung.
In welchen
mythischen Gestalten kommt nun das Prinzip der zentralen Lebenswärme
symbolisch zum Ausdruck ? Beginnen wir gleich wieder mit der germanischen
Überlieferung, die im isländischen Runenlied aus dem 15. Jhdt.
(s. Reiß, S.17 u. v. Nemenyi, Heft 15, S. 7) die Sonne
als "der Eismassen Mörder" umschreibt. Aus dem Schmelzen des Eises
aber erwächst Leben, wie der eddische Schöpfungsmythos beschreibt:
Die Urkuh Audhumbla leckt den Urmenschen Buri aus dem Eis hervor, womit
sie den Prozeß der Schöpfung der menschengestaltigen Urgötter
in Bewegung setzt. Aus dem ägyptischen Hathor- und dem griechischen
Herakult sowie der hinduistischen Verehrung der Kuh wissen wir, daß
die idee einer kuhgestaltigen Himmelsgotthit als nährender mütterlicher
Kraft uralt ist. In einem altägyptischen Hymnus an Hathor heißt
es: " Wie schön glüht die Goldene, blüht die Goldene, strahlend
und blühend...". Hathor trägt auf ihren Kultbildern die Sonnenscheibe
zwischen ihren Hörnern.
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In der altindischen Hochzeitszeremonie zwischen Surya und Soma wird ebenfalls die Beziehung zwischen der wärmenden Qualität des Feuers und der lebenspendenden Fruchtbarkeit hergestellt:
"Hier soll Dir
Liebes durch Nachkommenschaft zuteil werden.
In diesem Hause
wache über das Hausfeuer!
Mit diesem Gatten
vereine den Körper!
Noch als zwei
greise Leute sollt Ihr zur Opferversammlung sprechen."
(Mylius, S. 63)
Die japanische
Sonnengöttin Amaterasu steht für die Kultivierung des Reisanbaus,
während die litauische Saule die Kornfelder segnet, die sie bei der
Sommersonnenwende umschreitet. Sie selbst hat nach der Überlieferung
auf dem Himmelsberg ihre eigenen Felder und waltet dort als Bäuerin.
es sind also Licht und Wärme als Wachstumskraft, die der Sonne hier
zugesprochen werden. Auch in dem sorbischen Märchen von Pan Hibschik
sieht es die Sonne als ihre Aufgabe an, die Erde zu erwärmen.
Die Überlieferung
zur SOL-Rune betont die Bedeutung des Schutzes vor Dunkelheit und Verwundung
und ihre Rolle bei der Orientierung der Seefahrer.
In verschiedenen Überlieferungen wird das zyklische im Wesen der Sonne, ihre Verborgenheit und neues Hervortreten sehr unterschiedlich symbolisiert: In der japanischen Tradition verwüstet der Sturmgott Susa-No-o ihre Reispflanzungen, so daß sich Amaterasu in ihre Felsenwohnung zurückzieht. Nun ist die Welt erfüllt von Finsternis. Erst durch einen ekstastischen Kulttanz einer anderen Göttin und das damit verbundene Lachen der Götter fühlt sich die Sonnengöttin genötigt, wieder hervorzukommen. Das Interessante an dieser Geschichte besteht darin, daß sie einen Mythos und einen dazu passenden Ritus gleichermaßen wiedergibt.
Archäologischer Beleg für eine altjemenitische
Sonnengöttin
In der altnordischen
Überlieferung werden Sonne und Mond am Ende der Zeiten von Wölfen
verschlungen, die eine Riesin hervorgebracht hat. Aber die Sonne
hat noch zuvor eine Tochter geboren, die selbst nach dem Untergang der
anderen Götter weiterlebt ! (s. das Vafthrudnismal der Älteren
Edda). Allein dieser Passus zeigt die Bedeutung jener Göttin und ihre
Position im Verhältnis zu den späteren Göttergeschlechtern
!
In verschiedenen
alten Darstellungen zeigt sich die Vorstellung von der zentralen Bedeutung
des Solaren für die dem menschlichen Körper innewohnende Lebenskraft.
Die Erscheinung des Mondgottes
Die Problematik des Mondgottes, wie er sich dabei in den verschiedensten Überlieferungen zeigt, besteht vor allem in der Vielgestaltigkeit des Lunaren selbst. Der Mond hat in seinem himmlischen Erscheinungsbild die unterschiedlichsten Formen, von der Sichel über die Eiform bis hin zum vollendeten Kreis. Zugleich gibt es schnell wechselnde Zeiten, an denen er gar nicht sichtbar ist. Und nur dem sehr Kundigen ergibt sich ein System der Aufklärung darüber, warum der Mond einmal an dieser, ein andermal an jener Stelle des Himmelsrandes erscheint.
Diese Urschöpfung
des Menschen geht meist auf eine urzeitliche Flut zurück, die
von Gottheiten verursacht werden, die sich jenen Stammvätern offenbaren.
Der Gott im Gesetzbuch des Manu heißt Narayana, d.h. "derjenige,
der sich in den Wassern bewegt" (Renou, S. 148ff.). Demzufolge wird der
indische Manu auch von einem sprechenden Fisch vor der Großen Flut
gewarnt, welcher von Manu gerettet wird und anschließend immer größer
und größer wird. Der germanische Stammvater Mannus ist
Sohn des erdentsprossenen Gottes Tuisko, den Simek mit dem androgynen Urriesen
Ymir identifiziert. Ymirs Tötung durch die drei Urgötter
aber bewirkt die Entstehung des Weltmeeres, das aus seinem Blut entsteht.
Der Gott des Noah verursacht die Sintflut, indem er Wasser vom Himmel und
aus den Tiefen der Erde dringen läßt (Mose 7, Vers 11). Der
Gott EA oder ENKI, der den sumerischen Utnapischtim vor der großen
Flut warnt, ist Herr über das Wasser unter der Erde wie auch über
dem Himmel (s. Bellinger, S. 125). Der altnordische Gott Heimdall ist in
seiner Funktion als Wächter der Götter auch Herr über die
Brücke zu den Göttern, den Regenbogen, dessen Beziehung zum "himmlischen
Wasser" den Germanen nicht verborgen geblieben sein wird.
An diesem Punkt
ist es auch nicht uninteressant, daran zu denken, daß sowohl in der
germanischen Mythologie der Gott Njörd das Meer repräsentierte,
während es in der Antike der Gott Neptun/Poseidon war.
Zwei Sinnbilder
sind es, die für die Verdeutlichung der Wasser-Symbolik stehen: Nämlich
einmal das Horn und zum andern das Schiff.
Während
das Horn als Attribut eines Tieres auf die gehörnten Gottheiten verweist,
hat es aber zugleich auch eine Bedeutung als Musik- und Signalinstrument
sowie als Trinkgefäß. Das Gehörn als Verkörperung
der Mondsichelsymbolik würde bedeuten, daß alle gehörnten
Gottheiten mehr oder weniger lunaren Charakter haben. Dies würde auch
schlagartig den Sinn der Fruchtbarkeits- und Phalluskulte verdeutlichen,
welche mit den bocks- und stiergestaltigen Gottheiten verbunden sind.
Ein interessantes
Beispiel bietet eine Hymne aus dem zoroastrischen Zend-Avesta
an den Mond: Er wird dort immer wieder als der genannt, der den "Samen
des Stiers in sich trägt".
Der Gott Heimdall
hat, wie es in der Edda heißt, sein Horn, das Gjallarhorn, unter
der Weltenesche Yggdrasil verborgen. Es ist jenes Horn, mit dem er
die Götter vor den heranstürmenden Riesen warnt. Aber das gleiche
Horn gehörte auch dem Urriesen Mimir, mit dem jener Weisheit aus einer
Quelle trank. Heimdalls Name bedeutet möglicherweise "der die Welt
beleuchtet" (Simek, S.165). Simek erwähnt auch Heimdalls Interpretation
als widdergestaltiger Gott, da Widder eines seiner Synonyme in der Skaldendichtiung
ist. Sein Schwert heißt "Höfud" = Menschenkopf. Mimirs Kopf
wird von Odin, der sein eines Auge für Weisheit aus dem Mimirsquell
opferte, für Beschwörungen benutzt. Der Vollmond als Kopf eines
Gottes, der vom Himmel auf die Erde hinunterschaut, ist eine bekannte Assoziation
im Voksglauben.
Bei der Symbolik
des Horns müssen wir bedenken, daß das nach links gewendete
Horn als Kennzeichen des zunehmenden Mondes auftritt, während das
nach rechts gewendete in Verbindung mit dem abnehmenden Mond erkennbar
wird. Ich meine, daß sich daran Bedeutungen knüpfen, die der
feinen Beobachtungsgabe des mit der Natur lebenden Menschen nicht gleichgültig
sein konnten.
Gibt es doch
immerhin zwei Kategorien gehörnter Wesen: Einmal Tiere, die auch in
mythischen Darstellungen ganz naturalistisch als Tiere gezeigt werden und
andererseits menschengestaltige Wesen, die Hörner tragen. Man denke
hier auch an die Doppeldeutigkeit des Attributes "geweiht". Handelt es
hier um mit einem Geweih versehene, die diesen Kopfschmuck erlangen konnten,
nachdem sie sich einem rituellen Vorgang unterworfen haben ?
Auch das Schiff
ist eine allerdings vor allem in südlicheren Breiten, wo sich die
Mondsichel mehr zur Waagerechten neigt, klare Verschlüsselung der
Mondsymbolik.
Die Arche, das
Schiff des Manu, der Mahlkasten, mit dem sich Bergelmir vor der Flut rettet,
ebenso wie die Schiffsgräber der Wikinger und die "Kirchenschiffe"
der Gotik offenbaren eine Bedeutung, bei der es darum geht, die Seelen
der Menschen und Tiere zu bewahren, aus denen ihre Körper neu hervorgehen
können. Denn letztendlich ist dieses Schiff identisch mit dem Totenschiff,
in dem der himmlische Fährmann die Seelen über den Totenfluß
oder das Totenmeer hinüber in die andere Welt bringt: jene Welt, aus
der heraus sie wiedergeboren werden. Der griechische Charon, der Odin des
Harbardsliodh der Älteren Edda wie auch der Mythos von Avalon weisen
hin auf die alte Vorstellung, daß man über ein Wasser setzen
müsse, um in das jenseitige Reich zu gelangen.
Daß all
jene Beschreibungen von Schiffen und Fluten sinnbildlich-mythologischen
und keinerlei historischen Charakter haben, verdeutlicht die Schilderung
über das Schicksal Manus. In einem Brahmana-Text heißt es dazu:
"....als die Flut sich erhob, bestieg er das Schiff; der Fisch schwamm
zu ihm heran, an dessen Horn band er (Manu) das Tau des Schiffes, damit
setzte er (der Fisch), über diesen nördlichen Berg.- Er sprach:
"Ich habe dich gerettet: binde das Schiff an einen Baum, damit dich nicht,
ob du auch auf dem Berge bist, das Wasser fortspült: wenn das Wasser
allmählich fallen mag, dann magst Du auch allmählich hinabsteigen"
(Glasenapp, S. 30f.). Sowohl bei Manu als auch in der Geschichte von Noah
taucht der heilige Berg auf, an dem das (Mond)-Schiff schließlich
sein Ziel erreicht hat. Dieser Berg ist natürlich nichts anderes als
der Himmelsberg, auf dem sich nach der litauischen Überlieferung Sonnengöttin
und Mondgott begegnen ! Die Überlieferung des Manu kennt auch den
heiligen Weltbaum auf dem Himmelsberg. Der Mond in Verbindung mit dem Mondbaum
ist gleichfalls eine uralte Vorstellung, was am besten in dem Grimmschen
Märchen Nr.175, "Der Mond" verdeutlicht wird, wo sich der Mond auf
einem Eichbaum befindet. Die Eiche ist in allen indoeuropäischen Mythen
dem Himmels- und Donnergott geweiht, der bei den Germanen (Thor) als auch
bei den Indern (Parjanya) Gott des himmlischen Wassers und des Regens ist
(s. zahlreiche Abbildungen des Mondbaums bei Harding, S. 205).
In dem estnischen
Märchen "Die Färber des Mondes" treten gleich mehrere der schon
genannten Sinnbilder in Aktion: Der Teufel (als gehörnter Gott !)bzw.
sein Knecht steigen hier auf sieben aneinandergebundenen Leitern zum Mond
empor, wobei von "Leiterbäumen" die Rede ist (Löwis of Menar,
S. 244). Der Teufelsknecht wird von "Altvater" zur Strafe für seine
Verschmutzung des Mondes durch Teer für ewige Zeiten in den Mond verbannt,
so daß man auch heute noch einen Mann mit Teereimer im Mond sehen
könne.
Der Mondgott
ist also nach all diesen Vorstellungen Hüter der Schwelle, Seelengeleiter
und Totengott, der die Seelen in ein anderes Reich führt, aus dem
sie wiedergeboren werden. Aber diese Wiedergeburt ist natürlich nur
möglich durch Fruchtbarkeit und Fülle des wäßrigen
Prinzips - in Verbindung mit der solaren Wärme und Lebenskraft.
Die altindische
Kaushitaki-Upanishad faß es lapidar so zusammen: "Die, die auch immer
wahrlich aus dieser Welt fortgehen, alle diese gehen zum Mond. Durch deren
Lebenshauche schwillt er in der ersten Monatshälfte an, und durch
die zweite Monatshälfte läßt er sie wieder geboren werden."
(Ruben, S. 261f.)
In dem Grimmschen
Märchen "Der Mond" wird die Seelensubstanz der Menschen gleichfalls
in Beziehung gesetzt zur Substanz des Mondes. Das heißt, der Mond
wird nicht als ein einheitlicher Körper gedacht, sondern als ein aus
der Seelensubstanz vieler Menschen zusammengesetzter Körper, dessen
Leuchtkraft Ausdruck des kollektiven menschlichen Seelenlichtes ist. In
dem Grimmschen Märchen gehört der Mond vier Männern. Bei
dem Tode jedes Einzelnen wird ihm jeweils ein Viertel des Mondes ins Grab
mitgegeben. Als alle gestorben sind, leuchtet der Mond in der Unterwelt,
wo er die Toten erweckt ! Was aber besagt diese Vorstellung ? Wenn der
Mond am Nachthimmel verschwunden ist, also Neumond herrscht, bestand also
die Vermutung, daß er sich nun unter der Erde aufhalte. Das dortige
Erwachen der Toten in der Erde würde dann einen neuen Zyklus des Aufstiegs
der Toten zum Himmel in Gang setzen, was wiederum die Zunahme des Mondes
bewirken würde (s. oben in der Kaushitaki-Upanishad !).
Neben dieser
altindischen und quasi alt-deutschen (vielleicht germanischen ?) Quelle
wird es uns nicht mehr überraschen, ähnliche Vorstellungen auch
in der heidnischen Antike wiederzufinden, nämlich bei Plutarch (46
-120), der uns in seiner Schrift "Das Mondgesicht" nicht nur vom Mond als
Aufenthalts- und Läuterungsort der Toten berichtet. Er schreibt auch:
"Der Mond ist, wie schon gesagt, der Grundstoff der Seelen. Sie lösen
sich in ihn auf, wie Leichen in die Erde....Das geht bei den Zuchtvollen
rasch,....sie vergehen, wenn der Geist sie verläßt und ihre
Leidenschaften kein Ziel mehr haben. Die Seelen der Ehrgeizigen dagegen...schweifen
zum Teil umher wie im Schlaf, und die Erinnerung an das Leben begleitet
sie wie ein Traum;...Wenn aber ihre Unruhe und Leidenschaftlichkeit sie
vom Monde trennt und wegzieht zu einer neuen Geburt, dann läßt
er sie nicht (fort), sondern sucht sie zurückzurufen und mit
Zauberkraft zu binden....Mit der Zeit aber nahm der Mond auch diese in
sich auf und brachte sie zur Ruhe. Wenn dann die Sonne wieder mit ihrer
lebenspendenden Kraft den Geist sät, empfängt ihn der Mond und
bringt neue Seelen hervor, und die Erde gibt als Drittes den Körper
dazu " (Plutarch, S. 72 f.). Die Vorstellung, daß der Zyklus der
Wiedergeburt in Verbindung mit dem Mondlauf gesteuert wird, ist in diesen
Darlegungen deutlich enthalten. An anderer Stelle dieses Textes (S. 71)
wird es noch deutlicher gesagt, indem Plutarch auf die Existenz von Seelen
verweist, die durch Läuterung zu den elysischen Gefilden (die sich
auf dem Monde befinden) gelangen und sich dort zu Dämonen verwandelt
haben: "Doch nicht für immer weilen die Dämonen auf dem Mond,
sondern sie steigen zu uns herab, um Orakelstätten zu verwalten, und
sie sind mitwirkend gegenwärtig bei den höchsten Mysterienweihen.....".
Der Eine, der aus Vielen besteht
Die Vorstellung eines Wesens, das aus vielen verschiedenen einzelnen Wesen besteht mag aufs Erste befremdlich erscheinen. In gewisser Weise vorbereitet durch die oben angeführten Schilderungen über das Leben der Toten auf oder im Monde werden wir erwarten dürfen, daß es vielleicht ikonographische Hinweise auf dieses Thema gibt. Insbesondere möchte ich hier auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Teufelsdarstellungen verweisen, die den einzelnen Körperteilen des Dämons personale Eigenständigkeit zuweist.
Fenster der St.Marienkirche, Frankfurt Oder (14. Jhdt.)
Heilige Zeiten
Die Bedeutung
des Mondes und seines am Himmel erkennbaren Zustandes spiegelt sich auch
in der Gestaltung von Festen und Ritualen wider, die in alten Zeiten mit
bestimmten Mondphasen verbunden waren. So erwähnt z.B. Derolez, daß
"die religiösen Feste der Germanen bei Vollmond begannen..." (Derolez,
S. 241).
"Außer
in unvorhergesehenen Fällen, die sofort erledigt werden müssen,
halten die Germanen ihre Versammlungen in bestimmten Fristen zur Zeit des
Neu- oder Vollmondes ab; einen Anfang zu dieser Zeit betrachten sie als
die günstigste Vorbedeutung." (Tacitus, S. 18)
Ein Schäferkalender
von 1560 zeigt in einer Illustration ein Ritual der Begrüßung
der gerade am Himmel aufsteigenden Mondsichel (v. Zaborsky, S.75).
Benutzte Literatur
Bachofen, J.J.:
Das Mutterrecht, Frankfurt a.M. 1982
Bellinger, Gerhard
J.: Im Himmel wie auf Erden, München 1993
"
" : Lexikon der Mythologie,
Augsburg 1997
Derolez, R.L.M.:
Götter und Mythen der Germanen, Wiesbaden 1974
Deschner, Karlheinz:
Das Kreuz mit der Kirche, München 1982
Diederichs, Ulf
(Hrsg.): Germanische Götterlehre, Köln 1984
Gichtel, Johann
Georg: Theosophia Practica, Berlin / Leipzig 1736, Neuausgabe Schwarzenburg
1979
Glasenapp, Helmut
v.: Indische Geisteswelt, Baden-Baden o.J.
Brüder Grimm:
Kinder- und Hausmärchen, München 1984
Harding, Esther:
Frauenmysterien, Berlin 1982
Hetmann, Frederik:
Die Göttin der Morgenröte, Frankfurt a.M. 1986
Jung, C.G.: Symbole
der Wandlung 1, Olten und Freiburg i.Br. 1989
Kaiser, Michaela
(Hrsg.): Was zwischen Sonne und Mond geschah, Gütersloh 1988
Löwis of
Menar (Hrsg.): Finnische und estnische Märchen, Reinbek 1994
Mylius, Klaus
(Hrsg.): Älteste indische Dichtung und Prosa, Wiesbaden 1981
Nedo, Paul: Der
Kienpeter - Eine Auswahl sorbischer Volksmärchen, Bautzen 1967
Nemenyi, Geza
v.: Runenweissagung, Germanische Reihe, Heft 2, o.J.
"
" : Die Runenlieder, Germanische Reihe, Heft
15, o.J.
"
" : Runendeutung, Germanische Reihe, Heft
28, o.J.
Plutarch: Das
Mondgesicht (Übersetzung von Herwig Görgemanns), Zürich
1968
Regler-Bellinger:
Die Himmelsherrin bin ich - Gebete und Hymnen an Göttinnen, Bonn 1995
Renou, Louis:
Der Hinduismus, Genf 1972
Ruben, Walter:
Beginn der Philosophie in Indien, Berlin 1956
Simek, Rudolf:
Lexikon der germanischen Mythologie, Stuttgart 1984
Simrock, Karl:
Die Edda (Übertragung), Ammerland, 1983
Tacitus: Germania;
übersetzt von Curt Woyte, Leipzig 1925
Telle, Joachim:
Sol und Luna, Hürtgenwald 1980
Wenger, Matthias:
Göttinnen und Götter in den Mysterien des Heidentums, Bergen/Dumme
1994
Zaborsky, Oskar
v. : Urvätererbe in deutscher Volkskunst, Leipzig 1936
Albrecht Dürers Version von Offenbarung 12, 1: "Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen..."
Zusammenfassung
Sonnengöttin und Mondgott
Zur Revision der einseitigen Sichtweise der Geschlechterrollen möchte ich die Aufmerksamkeit der Gegenwart auf vorchristliche Mythologien lenken, die uns zwei Gestalten bieten, nämlich die Sonnengöttin und den Mondgott.
Daß es diese beiden Gottheiten gab, belegen die Mythen der Isländer, der Inuit, der Cherokee, der Japaner, der Esten, der Sorben, der Litauer, der Inder und der Ägypter.
Während die Sonne für das zentral ausstrahlende Feuer als fruchtbarkeitspendende Wärme steht, betrachtete man den Mond als den Seelenträger und Seelengeleiter, der die Seelenkräfte durch den Umlauf des kosmischen Wassers vermittelt.
Der Mond symbolisiert als Gott zwar auch die Verborgenheit der Mannes in einer matriarchalischen Gesellschaft. Und dennoch betrachtet man ihn auch in dieser Zeit als notwendigen Teil einer Ganzheit.
Seine Symbolik ist vielfältig, gemäß seiner Erscheinung am Himmel: Er wird symbolisiert durch gehörnte Tiere wie den Mondstier (= Mondsichel), durch das Schiff (= Halbmond) und den Schädel (=Vollmond). Letzterer ist sowohl stellvertretend für die „Ahnen im Himmel" als auch für den Kelch mit dem Seelenwasser, welches, wieder auf die Erde herabregnend, die Seelen zur Wiederverkörperung führt.
Zu Beginn der Neuzeit versinnbildlichte man die Rolle des Mondes als Seelenträger durch die Vielgesichtigkeit der Dämonen.
Zur Symbolik der Erscheinung des Mondes kommt noch die Darstellung der Mondbahn am Himmel als heiligem Berg (Himmelsberg) und seine Erhöhung am Himmel durch die Verbindung mit dem Mondbaum (= Weltbaum).
Die Beziehung der Gestirngottheiten kommt u.a. darin zum Ausdruck, daß sie teils als Geschwister und Liebespaar (Germanen, Inuit, Cherokee und Japaner) oder als Ehepaar (Inder, Litauer, Sorben und Griechen) gelten.
Die Tatsache, daß die hier aufgeführte Symbolik in der gesamten modernen Esoterik und neuheidnischen Symbolik nahezu unbekannt ist, belegt die kritiklose Rezeption spätantiker Umwertungen astraler Mythen durch die Gegenwart.